02. April 2025
Wissenschaft | Evidenz-based | Prävention
Wissenschaft in der Medizin - "Zusammenfassende Gedanken
aus der ganzheitsmedizinischen Praxis"
aus der ganzheitsmedizinischen Praxis"
Hier ein Auszug vom Vortrag "Zusammenfassende Gedanken
aus der ganzheitsmedizinischen Praxis" von Dr. med Gerhard Hubmann:
https://ganzheitsmedizin.my-ablefy.com/s/ganzheitsmedizin
Wir kennen die drei Säulen der Evidenz, die bereits in den 1990er-Jahren beschrieben wurden:
- wissenschaftliche Studien
- Erfahrung des Arztes
- Der Wunsch des Patienten (wie wirkt es für den Patienten?)
Für mich als niedergelassenen Arzt ist die wichtigste Säule eindeutig die Erfahrung des Arztes und die Rückmeldung des Patienten. Denn am Ende geht es darum: Wie verlässt der Patient meine Praxis? Hat er einen tatsächlichen Benefit von meiner Behandlung? Wie sieht es mit der Heilung oder Symptomlinderung aus?
Natürlich müssen wir uns auch der externen Evidenz stellen, also den wissenschaftlichen Studien. Ich bin immer sehr interessiert, wenn es neue Studien zu komplementärmedizinischen Themen gibt. Jede einzelne Methode in der Komplementärmedizin sollte sich diesen Studien stellen.
Die interne Evidenz wiederum beschreibt die individuelle Reaktion des Patienten auf eine Behandlung. Wie geht es ihm? Was bringt ihm die Therapie? Dies wird zunehmend durch Fallstudien dokumentiert – also durch detaillierte Beschreibungen einzelner Behandlungsverläufe.
Die Frage "Was ist Heilung?" ist oft schwer zu beantworten. Ist es lediglich eine Symptomlinderung oder eine nachhaltige Besserung? Hier hilft uns der Faktor Zeit. Wenn ein Patient über einen längeren Zeitraum stabil bleibt, sich wohlfühlt und die Befunde gut sind, dann ist das für mich ein Zeichen für Heilung.
Studien und ihre Grenzen
Doppelblind-kontrollierte, randomisierte Studien oder Kohortenstudien sind wichtig, aber für den einzelnen Patienten nicht immer aussagekräftig. Warum? Weil Ganzheitsmedizin hochgradig individuell ist. In unserer Praxis kombinieren wir oft verschiedene Methoden – zum Beispiel Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin oder orthomolekulare Medizin –, um die bestmögliche Therapie für den individuellen Fall zu finden.
Daher ist es schwierig, diese Form der Medizin mit klassischen Studiendesigns zu erfassen. Fallstudien und individuelle Dokumentationen sind für uns oft wertvoller, weil sie den realen Behandlungsalltag widerspiegeln.
Ein weiteres Hindernis ist die Akzeptanz der Ganzheitsmedizin in der wissenschaftlichen und medizinischen Gemeinschaft. Natürlich gibt es Skepsis – unter anderem wegen des Placeboeffekts. Doch meine Erfahrung zeigt: Die Menschen suchen genau diesen ganzheitlichen Zugang zur Medizin.
Mehr Forschungsgelder für die Ganzheitsmedizin!
Ein wichtiger Punkt ist die ärztliche Erfahrung. Nach über 30 Jahren in der Praxis bin ich zu vielen Erkenntnissen gekommen. Meine Erfahrung zeigt mir, dass ein ganzheitlicher Ansatz nicht nur den Patienten, sondern auch den Arzt selbst bereichert. Er führt zu mehr Freude an der Arbeit und stärkt die Rolle des praktischen Arztes, insbesondere des Hausarztes.
Ein Anliegen, das mir sehr am Herzen liegt, ist die Förderung der Forschung in der Ganzheitsmedizin. Wir brauchen mehr unabhängige Studien und mehr Forschungsgelder – nicht nur durch die Pharmaindustrie, sondern durch neutrale Institutionen.
Wir an der Akademie für Ganzheitsmedizin setzen uns genau dafür ein: unabhängige Forschung und Studien, um wissenschaftlich fundiert zu zeigen, was mit einer ganzheitlichen medizinischen Behandlung möglich ist.
Ein wesentlicher Punkt in unserer Arbeit ist auch die Mitarbeit des Patienten.
Die Eigenkompetenz des Patienten – ein Begriff, der international als Health Literacy bezeichnet wird – gewinnt immer mehr an Bedeutung. Dabei geht es darum, dass der persönliche Beitrag des Patienten zur Behandlung in Zusammenarbeit mit dem Arzt einen großen Stellenwert hat.
Gerade in der Ganzheitsmedizin ist es wichtig, auf diese Eigenkompetenz hinzuweisen. Wir fragen: Was kannst du selbst in deinem Leben verändern? Dazu gehören Ernährung, Bewegung, Psychohygiene und viele weitere Aspekte. Der Patient kann aktiv dazu beitragen, seine Krankheit schneller zu überwinden oder idealerweise gar nicht erst zu erkranken.
Prävention als zentraler Bestandteil der Ganzheitsmedizin
Viele Menschen – vor allem junge – stellen sich heute die Frage: Was kann ich tun, um gesund zu bleiben? Genau hier setzt die Diskussion um Prävention und Vorsorge an. Was können wir im Vorfeld tun, um Krankheiten zu vermeiden?
Ein zentraler Begriff in diesem Zusammenhang ist die Salutogenese. Der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky beschrieb dieses Konzept bereits in den 1970er-Jahren. Es geht darum, ein Gefühl der Kohärenz zu entwickeln – also ein Bewusstsein dafür, was man selbst tun kann, um gesund zu bleiben oder die Gesundheit wiederzuerlangen.
Die klassische Medizin konzentriert sich in Ausbildung und Praxis vor allem auf die Pathogenese, also die Entstehung und Behandlung von Krankheiten. Doch genauso wichtig ist die Frage: Wie können wir Gesundheit erhalten? Auch aus gesundheitspolitischer Sicht ist das von großer Bedeutung. Wenn wir präventiv arbeiten, senken wir langfristig die Kosten im Gesundheitssystem – ein wichtiger gesundheitsökonomischer Aspekt.
Wünsche an das Gesundheitssystem
Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, welche Kernpunkte wir in Zukunft verstärkt an unser Gesundheitssystem und die Verantwortlichen herantragen möchten.
Ein zentraler Wunsch ist die Einrichtung eines universitären Lehrstuhls für Ganzheitsmedizin.
Es wäre wichtig, dass angehende Ärztinnen und Ärzte bereits im Studium grundlegende Kenntnisse über die Ganzheitsmedizin erhalten. Die spezifischen Ausbildungen zu komplementärmedizinischen Methoden bleiben weiterhin den Fachgesellschaften vorbehalten, doch es ist essenziell, dass junge Mediziner überhaupt wissen, welche Möglichkeiten es gibt.
Auch die Gesundheitsberufe spielen eine wichtige Rolle. Viele Angehörige dieser Berufe interessieren sich für Themen der Ganzheitsmedizin und Naturheilkunde, sei es die Traditionelle Chinesische Medizin, Ayurveda, Tibetische Medizin oder die Traditionelle Europäische Medizin. Wir beobachten ein wachsendes Interesse junger Menschen an diesen Bereichen und sehen es als unsere Aufgabe, ihnen fundierte Informationen und Ausbildungsangebote bereitzustellen.
Bessere Studienlage und Forschungsförderung
Wir bekennen uns zur Wissenschaft und sehen die Notwendigkeit fundierter Studien. Unser Wunsch ist daher, dass die öffentliche Hand verstärkt Forschung und Studien zur Ganzheitsmedizin unterstützt – sowohl auf universitärer Ebene als auch im niedergelassenen Bereich.
Einerseits brauchen wir groß angelegte klinische Studien zu einzelnen komplementärmedizinischen Methoden. Andererseits sind Case Reports, also detaillierte Fallstudien aus der Praxis, von großer Bedeutung. Diese ermöglichen es, individuelle Behandlungsverläufe zu dokumentieren und wertvolle Erkenntnisse für die Zukunft zu gewinnen.
Unser Ziel ist es, eine solide wissenschaftliche Basis für die Ganzheitsmedizin zu schaffen, damit sie künftig noch besser in das Gesundheitssystem integriert werden kann – zum Wohl der Patienten und der gesamten Gesellschaft.
Mehr Dialog und Zusammenarbeit in der Medizin
Ich würde mir wünschen, dass es mehr Diskussion und Dialog zu diesen Themen gibt. Es ist wichtig, dass wir wieder lernen, uns offen auszutauschen – frei über Erfahrungen zu sprechen, darüber, was sich bewährt hat, was in Österreich gut funktioniert und was auch international erfolgreich ist.
Wir haben die Hand immer ausgestreckt. Es geht nicht darum, Schulmedizin und Komplementärmedizin gegeneinander auszuspielen, sondern um ihre sinnvolle Ergänzung. Als ganzheitlich denkender Arzt sehe ich es als unsere Aufgabe, das Beste aus verschiedenen medizinischen Welten für unsere Patienten zu nutzen – und das auch in Zukunft weiterhin anzubieten.
Zeit für den Patienten: Ein wichtiger Aspekt in der Medizin
Ein weiterer Punkt, der mehr Beachtung finden sollte – und den ich mir vom Gesundheitssystem wünsche –, ist die Zeit, die wir für unsere Patienten aufwenden. Zeit für eine individuelle Diagnostik, eine ganzheitliche Beurteilung und einen personalisierten Zugang.
Der Begriff Personalisierung ist mittlerweile auch in der konventionellen Medizin ein großes Thema.
Individuelle Medizin stellt den Menschen als Ganzes in den Vordergrund.
Ich glaube, genau hier könnten wir einen wichtigen Brückenschlag zwischen den verschiedenen Ansätzen schaffen. Es wäre ein großer Gewinn für die Patientenversorgung, wenn wir diese beiden Konzepte stärker miteinander verbinden und einen offenen Dialog darüber führen – auf Augenhöhe.
Letztlich verfolgen wir alle das gleiche Ziel: zum Wohl des Patienten zu forschen und zu arbeiten. Wer sich in Ganzheitsmedizin ausbildet, hat die Möglichkeit, verschiedene Methoden gezielt einzusetzen – je nach individuellem Fall. So können wir als Ärzte das Beste für den jeweiligen Menschen erreichen, was nicht nur den Patienten selbst, sondern auch uns als Mediziner bereichert.
Kosten, Erstattung und die Rolle der Forschung
Ein wichtiger Aspekt in unserem sozialen Gesundheitssystem ist auch die Erstattung von Therapie- und Medikamentenkosten. Dafür sind fundierte Studien essenziell.
Wenn Studien zeigen, dass bestimmte naturheilkundliche oder komplementärmedizinische Substanzen genauso wirksam sind wie konventionelle Medikamente, dann sollte das auch Eingang in die Beurteilung unseres Sozialversicherungssystems finden. Es wäre wünschenswert, dass naturheilkundliche Präparate und traditionelle Heilmethoden mit pharmazeutischen Produkten verglichen werden.
Hier sehe ich großes Potenzial für die Zukunft:
Therapien könnten optimiert werden.
Gesundheitsökonomische Vorteile wären möglich, da natürliche Präparate oft kostengünstiger sind.
Patienten hätten eine größere Auswahl an Behandlungsmöglichkeiten.
Dieses Thema führt oft zu heftigen Diskussionen. Doch anstatt es zu umgehen, sollten wir uns intensiv damit beschäftigen. Das Gleiche gilt für die Erstattung von ganzheitsmedizinischen und komplementären Therapiemethoden. Oft liegt das Problem weniger an der Wirksamkeit, sondern an fehlenden wissenschaftlichen Studien, die für die Akzeptanz im Sozialversicherungssystem notwendig sind.
Deshalb arbeiten wir daran, mehr unabhängige Forschung und Förderung in diesem Bereich zu bekommen.
Die Nachfrage nach Ganzheitsmedizin in Österreich
Ein entscheidender Punkt, den wir nicht übersehen dürfen: 70 bis 80 % der österreichischen Bevölkerung nutzen bereits zusätzlich komplementärmedizinische Therapien. Das zeigt, dass ein enormes Interesse besteht.
Unser Ziel ist es, die Brücke zwischen konventioneller und komplementärer Medizin weiter zu stärken. Es geht nicht darum, Methoden gegeneinander auszuspielen, sondern um Zusammenarbeit. Denn letztlich zählt nicht die Methode selbst, sondern das Wohl und der Wunsch des Patienten.
Deshalb bin ich überzeugt, dass die integrative Medizin – also die Verbindung von Schulmedizin und Komplementärmedizin – ein großer Gewinn ist. Der Begriff Ganzheitsmedizin, den bereits Professor Stacher vor über 30 Jahren geprägt hat, steht genau für diese Denkweise: Schulmedizin und Komplementärmedizin gemeinsam zu nutzen, um bestmöglich zu therapieren.
In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir diese Arbeit weiterführen und die Forschung in diesem Bereich intensivieren können.
Auszug aus dem Vortrag Dr. Gerhard Hubmann,
"Zusammenfassende Gedanken aus der ganzheitsmedizinischen Praxis"
Nähere Infos und weitere Vorträge: https://ganzheitsmedizin.my-ablefy.com/s/ganzheitsmedizin